Lichttechnik

Die Grundregel eines jeden Fahrzeugführers ist der § 3 StVO, der besagt, dass nur so schnell gefahren werden darf, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Insbesondere hat der Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen, sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften seines Fahrzeugs und der jeweiligen Beladung anzupassen. Er darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann. Die Einhaltung des Sichtfahrgebotes ist bei Fahrten in der Dunkelheit problematisch. Dies liegt auch darin begründet, dass in § 50 StVZO „lediglich“ die Beleuchtungsstärke für Fern- und Abblendlicht vorgeschrieben ist. Damit ist das vom Fahrzeug ausgehende Licht definiert, nicht jedoch dessen Wirkung, die aber für die Beurteilung der Wahrnehmungsmöglichkeiten wesentlich ist. Es wird vom Gesetzgeber von einer theoretischen Sichtweite gesprochen (1-lx-Kurve), die bei einem Durchschnittsscheinwerfer etwa 50 bis 60 m zum rechten Fahrbahnrand betragen soll. Die wirkliche Sichtweite weicht hiervon aber z. T. erheblich ab, da sie vom Fahrbahnzustand, Belag, Verlauf etc. abhängig ist. Das zu erkennende Sehobjekt, also beispielsweise ein Fußgänger, dessen Auffälligkeit durch die Größe, Beweglichkeit und den Reflexionsgrad bestimmt ist, spielt die Hauptrolle im Erkennungsprozess, ebenso wie die Leistungsfähigkeit des Kfz-Lenkers. Der § 3 StVO lässt unter günstigsten Umständen innerhalb geschlossener Ortschaften für Kraftfahrzeuge eine Geschwindigkeit von 50 km/h zu. Außerhalb geschlossener Ortschaften gilt für Personenkraftwagen 100 km/h – in diese Beschreibung fließt der Begriff der günstigsten Umstände ein. Wie allgemein bekannt ist, liegen bei Fahrten während der Dunkelheit auf einer unbeleuchteten Straße keine optimalen äußeren Bedingungen vor. Obwohl dahingehend zu unterscheiden ist, mit welchem Licht der Pkw-Fahrer fuhr und welche Straßenverhältnisse vorlagen, lässt sich für den Großteil der Dunkelheitsunfälle schon anführen, dass eine Geschwindigkeit von 100 km/h bei eingeschaltetem Abblendlicht wesentlich zu hoch ist. Die häufigste Unfallvariante in den Dunkelstunden ist der Pkw-Fußgänger-Unfall. Der Fahrzeugführer steht vor dem Problem, den Fußgänger als Gefahrenquelle oder aber im lichttechnischen Sinne als Sehobjekt wahrzunehmen. Dies muss so frühzeitig geschehen, dass ein Anhalten vor dem Fußgänger möglich wird. Zumindest aber ist auf ihn so früh zu reagieren, dass er durch Abbremsen das Erreichen der Fußgängerposition zeitlich derart verzögern kann, dass der Fußgänger sich aus dem Raumbedarf des Pkw bereits herausbewegt hat. Im 1. Fall spricht man von der räumlichen Unfallvermeidung – im 2. Fall von der zeitlichen Unfallabwendung. Natürlich ist der Fußgänger nicht das einzige Sehobjekt, das in den Dunkelstunden zu erkennen ist. Es ergeben sich eine Menge anderer Unfallquellen, so z. B. der Radfahrer, der mit einem (beleuchteten) Fahrrad unterwegs ist, liegende Objekte (verlorene Ladung, umgestürzte Bäume etc.) oder beispielsweise der querstehende, ebenfalls schlecht oder nicht beleuchtete Lkw. Fußgänger und Radfahrer werden aber nicht nur in aufrechter Position, sondern auch im liegenden Zustand von einem Pkw erfasst. Oftmals spielt hier der Alkoholisierungsgrad die Hauptrolle, neigen Betrunkene doch gelegentlich dazu, die Fahrbahn als Ruhestätte zu benutzen. Ein solches Objekt ist für jeden herannahenden Pkw-Fahrer rein wahrnehmungsphysiologisch ein sehr schwer zu erfassendes Sehobjekt, da es nicht dem typischen Erscheinungsbild eines Fußgängers, also aufrecht gehend oder laufend, entspricht. Der persönliche Erfahrungsschatz des Pkw-Fahrers (worauf ist man vorbereitet?) spielt also bei der Wahrnehmung und dem anschließenden Erkennen des Sehobjektes eine ebenfalls ausschlaggebende Rolle. Als auffälliges Sehobjekt seien die im Gesichtsfeld des Pkw-Fahrers rotierenden Speichenreflektoren eines Fahrrades genannt, die automatisch mit einem in Bewegung befindlichen Radfahrer in Verbindung gebracht werden. Nicht nur die guten Reflexionseigenschaften solcher Speichenreflektoren, sondern insbesondere das eindeutige Erscheinungsbild ermöglichen ein schnelles Erfassen der Gesamtsituation.

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Abb. 1: Nachgestellte Situation mit querstehendem Lkw

 

Anders dagegen verhält es sich,wie gesagt, mit dem auf der Fahrbahn liegenden Fußgänger oderbeispielsweise dem querstehenden Lkw (vgl. Abb. 1). Steht ein Sattelzug eingeknickt auf der Straße, so blockiert der Auflieger die Gegenfahrspur. Der aus Gegenrichtung herannahende Fahrer bemerkt dann nur die Scheinwerfer der Zugmaschine und vermutet die eigene Fahrbahn als frei befahrbar. Hier ist die Erwartungshaltung des Fahrzeugführers eine völlig andere. Es stellt sich die Frage, ob die Annahme einer längeren Reaktionsdauer hier angemessen ist. Um solche Fallkonstellationen aus sachverständiger Sicht richtig beurteilen zu können, darf man sich nicht nur darauf beschränken, Fotos einer nachgestellten Szene dem Gutachten beizufügen und sich auf den realitätsgetreuen Abzug derselben zu stützen. Fotos unterliegen mannigfaltiger Manipulationsmöglichkeiten. Durch die geschickte Wahl der Belichtungszeit im Fotolabor können Gegenstände, die in der Realität nicht zu erkennen sind, sichtbar gemacht werden und umgekehrt. Ein entsprechendes Vorgehen ist insbesondere in der modernen Digitalfotografie möglich, bei der  Fotobearbeitungen gezielt im Hinblick auf die Auffälligkeit des Sehobjektes durchgeführt werden können.

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Abb. 2: Realitätsnahes Foto Abb. 3: Stark bearbeitetes Foto

 

An Abbildung 2 und 3 sei dies exemplarisch dargestellt. Während das obere Foto die Situation vor Ort realitätsnah wiedergibt,  wurde  im unteren Bild die Szene viel zu hell wiedergegen, wodurch die Wahrnehmbarkeit des am linken Straßenrand stehenden Fußgängers wesentlich verbessert wurde. Die technisch verlässlichste, weil durch objektive Messwerte gestützte Untersuchung gelingt mit einem geeichten Leuchtdichtemesser, in ausreichender Form auch noch mittels aufwendiger Fotoauswerteverfahren. Wir haben es uns zu eigen gemacht, die zu beurteilende Situation mit einem geeichten Leuchtdichtemesser in den entscheidenden Punkten einzumessen, um über den Abgleich mit Ergebnissen von Augenmedizinern die Frage zu beantworten, ob das Sehobjekt (also beispielsweise der Fußgänger) in der entscheidenden Situation (beispielsweise um den Unfall noch räumlich vermeiden zu können) hätte erkannt werden können. Mit einem Leuchtdichtemesser werden grob gesagt die Helligkeiten in der Unfallszene gemessen. In Abhängigkeit der Größe, der Hintergrundleuchtdichte und dem Zustand, der im Augenmedium des Beobachters vorherrscht, haben Augenmediziner Wahrnehmungsschwellen in Laborversuchen bestimmt, so dass es unter Berücksichtigung sogenannter Praxisfaktoren (die die Unfallszene mit den Labormessungen verknüpfen) gelingt, die Erkennbarkeitsentfernungen zu bestimmen. Soll eine Großzahl unterschiedlicher Weg-Zeit-Kombinationen durchgespielt werden, so bieten sich bildliche Auswerteverfahren an. Hierzu wird mit der nachgestellten Unfallszene ein Referenzmittel (Graustufenleiter) fotografiert. Im gescannten Foto kann über die bekannten Leuchtdichten (Helligkeiten) der Graustufenleiter, die mitfotografiert wurde, jede weitere Helligkeit im Bild bestimmt werden, so dass auch hierüber eine Beurteilung der lichttechnischen Verhältnisse möglich ist. Diese Methodik ist aber nicht so genau wie die punktweise Leuchtdichtemessung. Dies haben von uns durchgeführte Versuche gezeigt. Der Vorteil der Methode ist aber der, dass nachträglich auch weitere, im Bildbereich liegende Leuchtdichten noch bestimmt werden können.

Die Abbildung  4 zeigt eine nachgestellte Unfallszene.

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Abb. 4: Lichttechnische Auswertung anhand nachgestellter Unfallszene

 

Im linken Bildbereich befindet sich ein Fußgänger in ca. 25 m Entfernung (zur Front des Pkw). Im rechten unteren Bildbereich ist eine Graustufenleiter zu sehen, die unterschiedlich hellleuchtende Flächen besitzt. Die Leuchtdichten dieser Einzelflächen sind bekannt. Hierüber lässt sich das gesamte Bild lichttechnisch eichen. So entspricht beispielsweise die Helligkeit des Gesichtes des Fußgängers der mit Nr. 8 bezeichneten Leuchtfläche der Graustufenleiter, die einen bestimmten Wert entspricht. Solchermaßen ist es möglich, den Helligkeits- bzw. Leuchtdichteverlauf über den Straßenquerschnitt für unterschiedliche Annäherungspositionen des Pkw-Fahrers zu bestimmen.

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Abb. 5: Fussgaenger in Tanrzone

 

Es leuchtet ein, dass in einer so einfachen lichttechnischen Situation wie in Abbildung 4 Wahrnehmungsprobleme eigentlich nicht existieren. Mit zunehmender Unruhe im Blickfeld, also dann, wenn beispielsweise Gegenverkehr naht (Blendung des Kraftfahrzeugführers) werden auch die Wahrnehmungsmöglichkeiten eingeschränkter. Im Extremfall kann selbst bei vergleichsweise guter Straßenbeleuchtung ein dunkel gekleideter Fußgänger, wie im Abbildung 5 (Pfeilmarkierung) zu sehen, vollständig mit dem Hintergrund verschmelzen. Er befindet sich in diesem Bild in einer sogenannten Tarnzone, die zwischen den hellen Glanzstreifen, ausgehend von den Straßenlaternen liegen. Erst dann, wenn der Fußgänger sich in den hellerleuchteten Bereich einer solchen Laterne hineinbewegt, wird er für den Pkw-Fahrer sichtbar. All dies zeigt, dass für eine lichttechnische Begutachtung eine Fülle von Randbedingungen zu beachten sind. Es müssen unter vergleichbaren äußeren Umständen Messungen durchgeführt werden. Es muss dabei ein Pkw mit ähnlicher, besser noch baugleicher Beleuchtung verwendet werden. Der Zustand der Windschutzscheibe sollte jenem des Unfallautos zumindest ähneln. Das Sehobjekt, zum Beispiel der Fußgänger, muss die gleiche, oder aber eine gut vergleichbare Bekleidung tragen. Vorab muss das Unfallgeschehen durch den Sachverständigen vollständig rekonstruiert werden, inkl. der nötigen Weg-Zeit-Kombinationen, um dann vor Ort die für die Weg-Zeit-Analyse wesentlichen Positionen nachstellen zu können. Hierfür ist es bisweilen unumgänglich, den gesamten Straßenabschnitt durch die Polizei sperren zu lassen. Gelegentlich ist es auch nötig, die Fahrbahn anzufeuchten oder komplett mit Wasser zu benetzen (beispielsweise durch die Feuerwehr). All dies demonstriert, dass eine lichttechnische Untersuchung sehr aufwendig ist und eine sehr sorgfältige Vorgehensweise voraussetzt. Die Auswertung der Messergebnisse erfordert viel Fingerspitzengefühl und einen hohen Erfahrungsschatz, da oftmals weitere Einflüsse zu berücksichtigen sind, die man messtechnisch bisweilen gar nicht realisieren kann. Bei jeder lichttechnischen Einstellung, die beurteilt wird, handelt es sich um eine Momentaufnahme – der Pkw-Fahrer bewegt sich aber im Verkehrsgeschehen und ist insbesondere bei variierender Straßenbeleuchtung ständigen Lichtwechseln ausgesetzt. Fährt er bei regnerischem Wetter und hat beispielsweise die Scheibenwischer eingeschaltet, so ergeben sich hierdurch je nach Reinigungsqualität und Frequenz der Scheibenwischer in kleinsten zeitlichen Abständen stark unterschiedliche Sichtbedingungen.