Spurenanalyse

Um ein Verkehrsunfallgeschehen gut analysieren zu können, bedarf es gut auswertbaren Spurenmaterials. Je präziser eine Spurensicherung durch die Polizei, die Unfallbeteiligten oder einen hinzugezogenen Sachverständigen erfolgte, um so genauer ist in aller Regel die Unfallursache aufklärbar.Hat man als Sachverständiger die Gelegenheit, eine Spurenaufnahme vor Ort durchzuführen, beispielsweise weil man über die Polizei oder die Staatsanwaltschaft zur Unfallstelle gerufen wird, so ist es zunächst wichtig, das evt. auf der Fahrbahn erkennbare Spurenbild zu sichern. Man trifft oftmals Reifenspuren in allen möglichen Varianten an, seien es Blockier-, Brems-, Drift-, oder Schleuderspuren. 
Diese Spuren müssen, wenn sie dem Unfallgeschehen auch zuzuordnen sind, durch den Sachverständigen markiert werden. Hierdurch ist es auch im Nachhinein vergleichsweise einfach möglich, die Lage der Spuren über markante ortsfeste Punkte zu bestimmen.

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Abb. 1: Spurenaufnahme

 

Die Abb. 1 zeigt den Endstand eines Pkw, der zuvor eine Vollbremsung durchgeführt hat. Mittels Kreide wird die Spur links- wie rechtsseitig markiert. Für eine Vermessung bietet es sich an, an der Fahrbahnaußenkante weitere Markierungen in regelmäßigen Abständen anzubringen, wie hier in jeweils 2,5 m Distanz. Ferner ist es sinnvoll, die jeweiligen Radaufstandspunkte besonders zu markieren. Anhand des Bildes 1 lässt sich im Nachhinein z. B. über den mitfotografierten Kanaldeckel am Fahrbahnrand die Lage dieser Blockierspur sehr genau rekonstruieren. 
Ist die Spur markiert, hat man sie in einer Handskizze eingetragen und entsprechend vermessen, dann bietet es sich mit zunehmender Komplexität der Situation an, Fotos in regelmäßigen Abständen zu fertigen. Vorteilhaft ist dabei das Anlegen eines Zollstocks an die Spuren, Endstellungen (in Fahrbahnquerrichtung).
Im Falle des Bildes 1 könnte man daher an die Fahrbahnkante einen Zollstock quer zur Fahrtrichtung anlegen, wodurch festgehalten wird, welchen Querabstand das rechte Vorderrad beispielsweise zur Fahrbahnkante besessen hat. Eine solche Vermessungsart nennt man Rechtwinkel-Koordinaten-Verfahren. Es gibt auch das sogenannte Dreiecksmessverfahren. Hier vermisst man beispielsweise den Abstand des rechten Hinterrades wie auch des rechten Vorderrades zur 0 m-Markierung. In einem nächsten Schritt kann die Distanz des rechten Vorderrades wie auch des rechten Hinterrades zur 2,5 m-Markierung festgestellt werden, wodurch dann ebenfalls die Position des Pkw in der Unfallörtlichkeit bestimmt ist. Welches Verfahren man hier verwendet ist letztlich unerheblich. Wesentlicher für eine nachträgliche Spurenauswertung ist die Qualität und die Aufnahmeposition des jeweiligen Fotos. Es hilft nicht viel, wenn eine Fülle von Fotos aus der quasi gleichen Position aus aufgenommen werden - man sollte Annäherungsfotos an die Unfallstelle fahrbahnlängsachsenparallel (beim Gegenverkehrsunfall natürlich aus beiden Richtungen) fertigen. Ferner sollten ortsfeste Bezugspunkte mit aufgenommen werden, die ein nachträgliches fotogrammetrisches Auswerten der Spuren stark vereinfacht (Kanaldeckel, Leitpfosten, Schilder etc.).

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Abb. 2: Ausgangssituation
 

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Abb. 3: Fotogrammetrische Auswertung

 

Als Beispiel sei Abb. 2 angeführt, auf dem eine doppelschenklige Blockierspur eines Pkw zu sehen ist. Der Pkw wurde nachträglich an den Straßenrand gefahren (Ford Sierra neben dem dortigen Container). Auf diesem Bild ist die vom Pkw abgezeichnete Blockierspur gut zu erkennen - in Höhe des Kanaldeckels inmitten der Fahrbahn beschreibt diese Spur einen deutlichen Knick nach rechts (in Fahrtrichtung des Pkw gesehen), was auf die Verschiebekraft infolge der Kollision zurückzuführen ist. Dank dieser Fotoaufnahme ist also die Lage der Kollisionsstelle im Nachhinein problemlos rekonstruierbar. Man kann nach Durchführung einer Ortsbesichtigung eine fotogrammetrische Analyse durchführen, Abb. 3. Durch die nachträgliche Besichtigung der Unfallstelle konnte beispielsweise die Distanz der Kanaldeckel zueinander im mittleren Fahrbahnbereich bestimmt werden, wie aber auch der Abstand der auf dem Bild im Randbereich erkennbaren Mauerpfeiler, Laterne etc. Eine solche Fotoauswertung kann man rechnerunterstützt vollziehen. Bei der Auswertung konstruiert man regelmäßige Vierecke, die die in der Realität parallel zueinander liegenden Fahrbahnränder im Bild schneiden. Durch Diagonalenbildung in diesen Vierecken ist es möglich, die Bildtiefe wie auch die Breite in Relation zur Spurenlage zu bestimmen. In dem Bild 3 erkennt man die einzelnen Referenzvierecke. Solchermaßen lässt sich feststellen, dass zwischen dem Spurenknick und dem Spurenende eine Gesamtstrecke von ca. 3 m liegt.Man erkennt daran, dass der Unfallaufnahme vor Ort (sei es durch die Polizei, die Unfallbeteiligten oder eines Sachverständigen) eine sehr hohe Bedeutung zukommt. Bei der Rekonstruktion von Verkehrsunfällen ist nämlich nicht nur die eigentliche Kollision von Interesse, sondern auch die Bewegungen der Fahrzeuge vor und nach dem Unfallgeschehen. Unfallabläufe werden in drei Hauptphasen unterteilt:- Einlaufphase (Pre-Crash-Phase) - Kollisionsphase (Crash-Phase)- Auslaufphase (Post-Crash-Phase).Vor der Kollision bewegen sich die Fahrzeuge aufeinander zu (Einlaufphase). Es kommt dann zum Anstoß, wobei die Deformationen der Fahrzeuge eintreten (Kollisionsphase). Nach dem Anstoß trennen sich die Unfallgegner voneinander und bewegen sich in ihre Endstellungen (Auslaufphase). Diese Endstellungen können im Zuge einer Unfallaufnahme eingemessen werden, ebenso wie die davor befindlichen Reifen-, Kratz- oder Schlagspuren auf der Fahrbahn. Oftmals bilden auch die Endlagen von Schmutz- und Glassplitterfeldern wichtige Anknüpfungspunkte für eine Rekonstruktion. Die Analyse eines solchen Verkehrsunfalles erfolgt in aller Regel entgegengesetzt (in einer Rückwärtsrechnung) zu dem beschriebenen, chronologischen Ablauf. Es wird zunächst die Auslauf-, dann die Kollisions- und schließlich die Einlaufphase betrachtet. Über den Wegstreckenanteil nach dem Unfall sind die Geschwindigkeiten der Pkw (bei Annahme von Verzögerungswerten) feststellbar. Über die Höhe der geleisteten Deformationsarbeit im Zuge des Unfallgeschehens sind Aussagen zum Geschwindigkeitsunterschied in der Crash-Phase möglich. Über ein vorkollisionäres Spurenbild ist der Tempoverlust wiederum durch Einsetzen geeigneter Verzögerungswerte bestimmbar. Daraus lässt sich im Zuge der Rückwärtsrechnung zunächst die Stoßausgangsgeschwindigkeit, dann die Kollisionsgeschwindigkeit und ggf. die Bremsausgangsgeschwindigkeit bestimmen. Sie sind dann letztlich die Anknüpfungspunkte für die im Weiteren durchzuführende Weg-Zeit-Betrachtung, in deren Verlauf die Bewegungslinien der Fahrzeuge örtlich und zeitlich einander zugeordnet werden. Für die Bestimmung der Kollisionsgeschwindigkeiten existieren eine Fülle von rechnerunterstützten Rekonstruktionsprogrammen, auch sog. Vorwärtsrechenprogramme. Die Ergebnisse solcher Kollisionsanalysen können aber nur so genau sein, wie die Bandbreite der einzusetzenden Ausgangsparameter und das technische und theoretische Verständnis des Anwenders. Eine insgesamt gute Kollisionsananlyse bedarf der vollständigen Auswertung des zur Verfügung stehenden Fotomaterials, einer akribischen Auseinandersetzung mit der an den Fahrzeugen geleisteten Deformationsarbeit (Einbeziehung oder Durchführung von Crash-Versuchen) und selbstverständlich der detaillierten Auseinandersetzung mit den Fahrzeugschäden, nämlich einer korrekten Zuordnung derselben, um die Anstoßkonstellation mit hoher Genauigkeit rekonstruieren zu können. Eine in technischer Hinsicht ausreichende Analyse setzt daher voraus, dass maßstäbliche Arbeitsskizzen entworfen werden, anhand derer das Spurenbild, die Kollisionsphase wie auch die vor- und nachkollisionären Bewegungen der Fahrzeuge dargestellt werden. Erst auf Basis derselben sind technische verlässliche Weg-Zeit-Betrachtungen möglich, die aus Anschauungsgründen ebenfalls im Rahmen eines Diagramms erfolgen sollten.